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  Karlsruhe kippt Vorratsdatenspeicherung
 
Regelung verstößt gegen Grundgesetz

Karlsruhe kippt Vorratsdatenspeicherung

Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung verstößt in ihrer jetzigen Form gegen das Grundgesetz. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Karlsruher Richter erklärten die seit 2008 geltende gesetzliche Regelung zur massenhaften Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten für verfassungswidrig und nichtig - sie verletze das Telekommunikationsgeheimnis, begründete der Erste Senat seine Entscheidung.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird aus Sicht der Verfassungsrichter nicht gewahrt. Sie sprechen von einem "besonders schweren Eingriff in das Fernmeldegeheimns", das Rückschlüsse "bis in die Privatsphäre" ermögliche. Außerdem mangele es an einer Sicherheit für die Daten, und es gebe keine konkreten Angaben, wofür die Daten gebraucht werden sollen. Ferner kritisierten die Richter eine mangelnde Transparenz des Gesetzes.

Der Gesetzgeber muss ein neues Gesetz verabschieden und die vorhandenen Daten "unverzüglich" löschen lassen.

Nicht generell gegen Speicherung der Daten

Das Karlsruher Urteil schließt eine Speicherung der Daten jedoch nicht generell aus. Die deutschen Verfassungsrichter stellten nicht die Zulässigkeit der EU-Richtlinie in Frage, die Grundlage für das Gesetz in Deutschland ist. Die Telekommunikationsdaten seien "für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung".

Bei der jetzigen Regelung handele es sich aber "um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt". Darum müsste ein derartiger Eingriff an strengste Bedingungen geknüpft werden. Diese Voraussetzungen erfüllt das deutsche Gesetz laut dem Urteil nicht.

Schild vor dem Bundesverfassungsgericht (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Klare Entscheidung: Die Speicherung ist verfassungswidrig. ]
Die Richter forderten den Gesetzgeber auf, einen strengen Maßstab zu entwickeln, der von den Telekommunikationsunternehmen auch technisch umgesetzt werden müsse. Der Datenschutz dürfe jedenfalls nicht "unkontrolliert" in deren Händen liegen und von ihren "Wirtschaftlichkeitserwägungen" abhängen. Die Kosten für diese Datensicherheit haben laut Urteil die Unternehmen zu tragen, da sie auch von der Telekommunikation profitieren.

Nach dem Gesetz werden seit 2008 Verbindungsdaten aus der Telefon- , Mail- und Internetnutzung sowie Handy-Standortdaten sechs Monate lang gespeichert. Abrufbar sind sie für Zwecke der Strafverfolgung sowie der Gefahrenabwehr. Im umfangreichsten Massenklageverfahren in der Geschichte des Gerichts hatten fast 35.000 Bürger Beschwerde gegen das seit 2008 geltende Gesetz eingelegt, das eine EU-Richtlinie umsetzt.

"Datensammelwut außer Rand und Band"

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum hatte das Gesetz zuvor im ARD-Morgenmagazin erneut kritisiert - der FDP-Politiker war einer der Kläger in Karlsruhe. Baum sprach von einer "Datensammelwut", die "außer Rand und Band" geraten und nicht verhältnismäßig sei: "Wir verändern den freien Charakter unserer Gesellschaft, wenn wir uns auf diesen Weg begeben."

Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach verteidigte das Gesetz hingegen. Mit ihm werde nach den Terroranschlägen von Madrid und London eine EU-Richtlinie umgesetzt, sagte er ebenfalls im ARD-Morgenmagazin. Die Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen werde immer stärker für Straftaten genutzt. Bei Straftaten wie Kinderpornografie im Internet gebe es fast nur Ermittlungsansätze durch diese Daten. Bosbach verwies zudem darauf, dass bisher kein Fall von Missbrauch des Gesetzes bekannt sei.


Datenschutz made in Karlsruhe

Verfassungsrichter bleiben ihrer Linie treu

Das Urteil des Verfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung kam nicht überraschend: Spätestens seit der Entscheidung zur Volkszählung in den 80er-Jahren pochen die Richter beim Datenschutz immer wieder auf die Verhältnismäßigkeit der staatlichen Mittel. Und immer wieder monieren sie, dass gerade diese nicht gegeben sei.

Von Fiete Stegers, tagesschau.de

Eine historische Dimension hatte das Urteil über die Rechtmäßigkeit der verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten aller Bürger schon im Vorfeld: Mehr als 34.000 Menschen hatten 2008 gegen das Gesetz Verfassungsklage in Karlsruhe eingelegt - ein Rekord.

Ernst Benda und Mitglieder des 1. Senats 1983 Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: 1983 fällte das Verfassungsgericht sein Urteil zur Volkszählung ]
Beim Volkszählungsurteil Anfang der 80er-Jahre hatten die Kritiker dieser Maßnahme der damaligen Bundesregierung nur rund 1300 Unterschriften für ihre Verfassungsklage gesammelt (auch wenn sich die Klage auf einen breiten Unwillen in Teilen der Bevölkerung stützte). Die Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht 1983 fällte, war wegweisend für die künftige rechtliche Stellung des Datenschutzes in Deutschland. Die Richter unter dem Vorsitz von Ernst Benda lasen aus der Verfassung ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger heraus, das höher wog als der Wunsch der Bundesregierung nach demografischen Daten über die Bevölkerung.

Hintergrund:

Internet
Was bedeutet die Speicherpflicht? 

Selbstbestimmung bei der Datenspeicherung

Jeder Mensch habe das Recht, selbst darüber zu entscheiden, welche persönlichen Daten er über sich preisgibt, urteilten die Richter. Dieses Prinzip leiteten sie aus dem Grundgesetz ab, das die Menschenwürde und das Recht auf persönliche Handlungsfreiheit garantiert. Denn wer nicht weiß, was mit seinen Daten geschieht, was andere über ihn speichern und weitergeben, wird in seiner persönlichen Freiheit zu handeln eingeschränkt - so das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung war seitdem Grundlage für eine ganze Reihe von Gerichtsurteilen, die sich mit dem Umgang mit persönlichen Daten durch den Staat oder Unternehmen beschäftigten.

Lauschangriff, Kennzeichen-Scan, Online-Durchsuchung

Gerade das Bundesverfassungsgericht hat sich in den Jahren seit dem 11. September immer wieder mit der Bewertung von Gesetzen beschäftigten müssen, bei denen das Streben des Staates nach neuen Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität mit bürgerlichen Freiheiten kollidiert. Dabei übernahmen die Karlsruher Richter zunehmend die Rolle eines Korrektivs, das dem Gesetzgeber auf die Finger klopfte und die Beachtung von Datenschutz und Privatsphäre anmahnte. Auf Kritik an dieser Rolle, wie sie etwa der frühere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble äußerte, entgegen Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier jüngst, das Gericht sei sich seiner Verantwortung bewusst, der Anteil der von ihm für ungültig erklärten Gesetze gemessen an der Gesamtzahl verschwindend gering.

So kippte das Bundesverfassungsgericht 2004 den Großen Lauschangriff und verbot die 2006 die allgemeine Rasterfahndung ohne konkreten Verdacht. 2007 setzte es Schranken für die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen und erklärte die Telekommunikationsüberwachung in Niedersachsen für verfassungswidrig. 2008 setzte es enge Grenzen für das automatische Scannen von Kennzeichen im Straßenverkehr zu Fahndungszwecken. Außerdem laufen derzeit noch Verfassungsklagen gegen die zentrale Antiterrordatei und das BKA-Gesetz mit der darin verankerten Online-Durchsuchung. 

Dossier:

Ein Verteiler für Internetverbindungen (Foto: dpa)
Ein Angriff auf die Freiheitsrechte? 

Pochen auf die Verhältnismäßigkeit 

Die Regelung der Online-Durchsuchung in Nordrhein-Westfalen hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 2008 als unzulässig bezeichnet. Dabei definierten die Richter sogar ein neues Grundrecht, dass das Postgeheimnis auf das Internet-Zeitalter überträgt:  Die Bürger hätten Anspruch auf die "Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", so das Gericht.

In den meisten Fällen erklärte das Verfassungsgericht die gesetzlichen Maßnahmen allerdings nicht für schlichtweg verfassungswidrig und die Ziele eines Gesetzes für unsinnig, sondern mahnte die Politik, die Verhältnismäßigkeit zu wahren: zwischen den Sicherheitsmaßnahmen und ihren Erfolgsaussichten einerseits und der durch sie hervorgerufenen Einschränkung bürgerlicher Freiheiten andererseits. Dabei gaben die Richter dem Gesetzgeber teilweise konkrete Hausaufgaben für Nachbesserungen auf. Deren Umsetzung erwies sich in der Praxis nicht immer ganz unkompliziert: So dürfen bei einer akustischen Wohnraumüberwachung nur bestimmte Inhalte  eines Gesprächs von den Behörden verwendet werden, während die Beamten an anderer Stelle von Amts wegen wegzuhören haben.

Die Verhältnismäßigkeit war auch bei der Beurteilung der Vorratsdatenspeicherung entscheidender Maßstab für die Richter. Dass der Gesetzgeber zumindest nachbessern musste, war vorab zu erwarten. In zwei Eilentscheidungen zur Verfassungsklage hatten die Richter im März und im November 2008 die Verwendung der Speicherdaten bis zu ihrem endgültigen Urteil bereits deutlich eingeschränkt.


Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Kennzeichenerfassung verstößt gegen Grundgesetz

Automatische Kennzeichenerfassung in Hessen Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Rechtliche Grundlage zu ungenau: Automatische Kennzeichenerfassung in Hessen ]
Das Bundesverfassungsgericht hat der millionenfachen Video-Erfassung von Autokennzeichen zum Fahndungsabgleich enge Grenzen gesetzt. Solch ein Eingriff in die Grundrechte der Bürger sei nur auf Grundlage klarer Gesetze zulässig, entschied das Gericht. Es erklärte damit zwei Vorschriften aus Hessen und Schleswig-Holstein für nichtig, weil sie gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen.

In den beiden Landesgesetzen sei weder der Anlass noch der Ermittlungszweck genannt, dem die Erfassung der Autokennzeichen dienen solle. Damit seien die Vorschriften zu unbestimmt und ermöglichten schwerwiegende Eingriffe.

Stichprobenartig könne aber die automatisierte Erfassung von Kennzeichen unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein, urteilten die Richter. Als Beispiel nannten sie die Suche nach gestohlenen Fahrzeugen. Die umfassende Kennzeichenerfassung sei jedoch nur bei konkreter Gefahr möglich oder wenn sie auf bestimmte sicherheitssensible Orte wie etwa Bundesgrenzen oder Orte mit Kriminalitätsschwerpunkten begrenzt sei. Treffermeldungen dürften nur zweckgebunden benutzt und müssten gelöscht werden, wenn sie nicht mehr gebraucht würden.Gegen die massenhafte Erfassung ohne Grund hatten drei Autofahrer aus Hessen und Schleswig-Holstein Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Nach dem Karlsruher Urteil stoppten die Länder Hessen und Schleswig-Holstein den Einsatz der entsprechenden Lesegeräte und kündigten an, ihre Gesetze zu ändern. FDP und Grüne begrüßten das Urteil. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, sagte, bei Polizeimaßnahmen müssten stets auch die Interessen der Betroffenen berücksichtigt werden. Die Gewerkschaft der Polizei warf den Politikern handwerkliche Fehler vor. Die Strafverfolgung sei nicht denkbar ohne den Vergleich von Kennzeichen und Fahndungslisten, betonte ihr Vorsitzender Konrad Freiberg.

Mehr Bundesländer betroffen

Automatische Kennzeichenerfassung Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Bei LKW-Mautgebühr schon lange Praxis: Automatische Kennzeichenerfassung ]
Das Urteil betrifft insgesamt acht von 16 Bundesländer, in denen das automatische Scannen laut Polizeigesetz erlaubt ist: Neben Hessen und Schleswig-Holstein sind dies Bayern, Bremen, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Auch auf Bundesebene war bislang eine entsprechende Regelung im Gespräch. Baden-Württemberg wollte die Methode von diesem Sommer an erlauben.

Das Ablesen erfolgt entweder von stationären Einrichtungen oder von einem Polizeiwagen aus. Allein in Hessen wurden im Jahr 2007 über eine Million Kennzeichen automatisch gescannt und mit Fahndungslisten abgeglichen. Der Ertrag der Maßnahme ist umstritten. Nach Angaben der Kläger gab es in Hessen eine Trefferquote von nur 0,3 Promille. Gefunden wurden meist Autobesitzer, die ihre Versicherungsbeiträge nicht zahlten.

Mit dem Urteil stärken die Karlsruher Richer ein weiteres Mal das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Zuletzt hatten die Richter Ende Februar hohe rechtliche Hürden für Online-Durchsuchungen gesetzt.


 

 
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